lyrische welten


fotografie trifft poesie

Poesie ist stärker als die drei stärksten dinge: das böse, das feuer und der sturm.

Bretonisches Sprichwort


 

 

 

Tief eingelassen stecken

schwernasse Meeresstämme

im Schlamm

wie abgestorbene wurzelhaltende

ins Fleisch getriebene

Zahnspangen



 

 

Wolken

sind

wie

Märchen

am

Himmel


Knips

Knips

mir den Sonnenuntergang

er ist so schön

knips

mir die Möwe

in ihrem Flug

schenk sie mir

sie ist so schön

so einmalig

schenk mir die Bilder alle

ich kleb sie ein

heb sie auf

leg sie dann

irgendwann

zu den anderen.

 




strandgut

Tentakel der Großstadt

Fangarme die mich lassen

Großstadtbrandung ausgetauscht

unter grauem Himmel

meerwärts meditieren

mechanisch messerschaft

auf Eisenrädern

 

Wieder einmal Gezeiten erleben

Becher Meer mit Inselluft

Strudelbaden, Salzbrandung

und Meerwasser kraulen

für eine Woche sattle ich die Wellen

 

Letzte Luxuszitadelle

ich suche Obdach

auf einer Insel deren Form

einer Maschinenpistole ähnelt

sie schießt mir die geballte Ladung

Sauerstoff in meine Großstadtlungen

 

Hier ist endlich alles flach

Quecksilbrigkeit vor Zielen

unstet wuselt ein Nordlicht

 

Der Kopf dreht sich

von einer Sehnsucht zur anderen

Fleischeslust und Fernweh

flachgebürstet

Weideland mit

fleischigfleckigen Rindsbäuchen.

 

Wer fährt schon bis zum Schluß

mit mir bei diesem

grauen Himmel.

 

Tief eingelassen stecken

schwernasse Meeresstämme

im Schlamm

wie abgestorbene, wurzelhaltende

ins Fleisch getriebene

Zahnspangen.

 

Auf Messermuschelschneiden

ruht saftiger Meersalat

erschöpfter Blasentang.

 

Verloren zerrissen

abgelöst unhaltbar geworden

angeschwemmt

getrocknet

und versandet

wie bettelnd

nach oben gereckte Hände

die rostigen Nägel.

 

Was Schaumkronen

mir vor die Füße wälzen.

 

Hier eine Tomatensauce

Flaschenpost von Mac Donald's

eine Glasbirne hat das Glühen verloren

die ausgelaufene Milch

die kein Baby mehr ernährt

mit leeren Tüten ist kein Gewinn zu machen.

 

Ein schwarzes Tau

daran hat sich bestimmt einmal

ein Passagier erhängt

eine Klobürste quirlt im dünnen Pril.

 

Eine Medizinflasche über Bord geworfen

noch niemand aber

seine Gallensteine.

 

Der Wind blättert weiter

in Illustrierten aus Sand.

 

 



himmelsvagabunden

Sie ziehen wieder

windig abgewetzte Traumreiter

zerfasert am Grasrand

hängen wie in Lumpen vom Blau

entführte Tropfen

kennen wie die Möwen

keinen Wochentag

fliegen

und spielen Schach

mit ihren Schatten.

 



Wolken sind Märchen am Himmel

Gestalten aus Tropfen

emporgehoben

aus dem Tanz der Wellen

weiße Brandung atmet über Sand

und füllt die Spuren

deren lange Schatten

sich im späten Licht versammeln

hingetupfte Farben und ein

Windspiel im Dünengras.

 



litanei

Muscheln unter Abendwolken

Sturm aus tausend Wipfeln

Gitterstäbe Licht und Schatten

das Meer auf Silberkissen

trunken

die Möwe im letzten Sonnenglanz.

 



abschied

Von Gezeitengängen fortgewischt

was bleibt ist Druck und Spur

für Fährtensucher

und die Gewissheit dass ich da war

mit der Ferse eingegraben

wie viele andere

die entgegenkommen

sich entfernen

such ich mir nur die neuen

frischen Stellen

als Hinterlassenschaft

zwischen den Gezeiten.

 



alle Texte: (c) Kurt Bott


Kurt Bott

 

Am 5.8.1952 begann mein Lebenslauf. Blind ins Licht geholt. Schon am Start gebrüllt, geblieben. Gekrabbelt, gegangen, gelaufen. Das Leben blieb. Jetzt weit über der Mitte laufe, lache und weine ich immer noch in Köln, komme zurück, suche, finde, verliere. Das Leben bleibt. Der Weg: nach Hause. Die Suche: nach der Mitte, dem Herzen des Herzens, dem Ort, wo wir uns treffen.


zu dir

Wenn es eine Brücke gäbe

zu dir

würde ich die Maut bezahlen

und mit ein wenig Handgepäck

hinüber reisen.

 

aus: 6 Richtige, Lyrik lebt / Band 2 / Hrsg. Elmar Färber / ferber-verlag Köln


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